Heute war einer dieser Nachmittage, an denen ich einfach frische Luft schnappen wollte. Ein bisschen Sonne, mein Kind beim Spielen beobachten, ein paar Minuten Ruhe im Alltag. Ich spielte mit meiner Tochter im Sand. Es war ein ganz normaler Tag. Bis er plötzlich nicht mehr normal war.
Zwei kleine Mädchen kamen zum Spielplatz. Vielleicht fünf, höchstens sechs oder sieben Jahre alt. Sie wirkten selbstständig und kicherten leise miteinander. Kindlich, unbeschwert – so dachte ich. Doch dann passierte etwas, das mir die Kehle zuschnürte.
Eines der Mädchen kletterte fröhlich den großen Holzturm hinauf. Das andere blieb unten stehen, schaute hinauf, zögerte. Und dann sagte sie mit ruhiger, fester Stimme – fast als wäre es eine unumstößliche Tatsache:
„Ich kann nicht hochkommen. Hast du vergessen, dass ich zu dick bin?“
Ich erstarrte. Nicht, weil ich neugierig war. Sondern weil mir in diesem einen Satz das ganze Gewicht ihrer kleinen Welt entgegenschlug.
Ein Kind. Kaum in der Schule. Und sie bezeichnet sich selbst als „zu dick“.
Nicht mit Trotz. Nicht mit Wut. Nicht mal traurig. Einfach… als Tatsache. Ich war fassungslos. Sprachlos. Ich wollte aufspringen, irgendetwas sagen, widersprechen, trösten – aber ich wusste in diesem Moment selbst nicht wie. Nein, sie war nicht zu dick - gar nicht.
Kleine Kinder kommen nicht mit einem verzerrten Selbstbild zur Welt. Kein Kind stellt sich mit drei Jahren vor den Spiegel und denkt: "Ich bin nicht gut genug." Diese Gedanken pflanzen wir ihnen ein. Unabsichtlich. Unbewusst. Aber sie entstehen. Durch Blicke. Worte. Kommentare. „Willst du wirklich noch ein Eis?“ „Die Hose spannt ganz schön, findest du nicht?“ Oder auch ganz subtil – wenn Erwachsene über ihre eigenen Körper sprechen:
Kinder hören mit dem Herzen. Und was wir über uns sagen, speichern sie als Wahrheit – für sich selbst.
Vielleicht hat das Mädchen nichts direkt über sich gehört. Vielleicht nur, dass andere „zu dick“ sind. Vielleicht wurde ihr die Welt in „richtig“ und „falsch“ unterteilt – auch, was Körper betrifft. Die Medien tun ihr Übriges. Schon in Kinderbüchern sind Prinzessinnen zart und zierlich. Die „dicke“ Nebenfigur ist oft tollpatschig, witzig – aber nicht die Heldin.
Ein Kind, das früh lernt, dass sein Körper „nicht richtig“ ist, beginnt zu zweifeln. Nicht nur an seinen Fähigkeiten – sondern an sich selbst. Es entsteht Scham. Rückzug. Angst, nicht dazuzugehören.
Stell dir vor, wie es sich anfühlen muss, am Spielplatz nicht mitzuklettern – nicht, weil man es körperlich nicht kann, sondern weil man glaubt, es nicht zu dürfen. Weil man sich selbst im Weg steht. Weil man gelernt hat, sich klein zu halten. Diese Gedanken wachsen mit. Sie schleichen sich in den Schulalltag, in die Freundschaften, in das Selbstbild.
Und später?
In Bewerbungsgespräche. In Partnerschaften. In Lebensentscheidungen.
Ein geringer Selbstwert lässt uns nicht scheitern – aber er lässt uns oft gar nicht erst anfangen.
Wir alle – Eltern, Tanten, Lehrerinnen, Nachbarn, Coaches, Menschen mit Herz – wir tragen Verantwortung.
Nicht dafür, perfekt zu sein. Aber dafür, achtsam zu sein.
Und wenn du Coach, Pädagogin oder Beraterin bist:
Dann sei jemand, der den Menschen sieht – nicht nur den Lebenslauf.
Denn manchmal brauchen wir jemanden, der an uns glaubt, bevor wir es selbst können.
Ich denke noch immer an dieses kleine Mädchen. An ihre Stimme. An den Mut, mit dem sie sich offenbar schon oft rechtfertigen musste. Und ich hoffe, dass sie jemanden in ihrem Leben hat, der ihr zeigt:
Du bist nicht zu dick. Du bist genau richtig. Und du darfst alles – auch den Turm hoch.
Wenn du das liest und eine Tochter hast – oder ein Kind, das sich selbst schon in Frage stellt:
Umarme es. Sag ihm, wie wertvoll es ist. Ohne „wenn“ und „aber“.
Denn genau da beginnt Veränderung.
Im Herzen. Im Alltag. Und auf einem ganz gewöhnlichen Spielplatz.
Irina Stremel
Karriereberaterin mit Herz | HR-Expertin | Gründerin von Phoenix
„Ich begleite Menschen in beruflichen Umbruch-situationen – mit Klarheit, Strategie und viel Herz.
Mein Antrieb: Dass du dich beruflich nicht mehr klein machst, sondern deinen Platz einnimmst.
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